Hochsitz. 2004
Bertram Kobers Serie „Hochsitz“ entstand
zwischen 2001 und 2005. Seine genau kalkulierte Auswahl der Bildausschnitte
und das gleichartige Licht waehrend der Aufnahmen lassen das truebe Klima in
den menschenleeren Landschaften spueren. Die sachlich beschreibende Diktion
macht es moeglich, die „Architektur“ der Hochsitze, ihre Unterschiedlichkeit
und ihre Ausstrahlungen, die sowohl Staerke wie auch Bruechigkeit vermitteln,
in Ruhe zu studieren. Neben mobilen Konstruktionen gibt es auch thronaehnliche Varianten, mittels derer sich die Jaeger gleichsam im doppelten
Wortsinne ueber ihrem Landstrich „erheben“. Zwischen den zum Teil kurios
anmutenden, selbstgebauten Beobachtungstuermen der Jaeger macht sich
Ungemuetlichkeit breit. Der Betrachter sucht nach den Spuren des Wildes und
sieht sie nicht, vielmehr sich selbst an dessen Platz gestellt und: nirgends
in den Landschaften findet sich der schuetzende Wald. Die zuerst skulptural
anmutende AEsthetik der Hochsitze in den Bildern verwandelt sich in Gefuehle
der Gefahr und des Bedrohtseins. An Stelle hochgemuter Empfindungen des
„Nichts gleicht auf Erden dem Jaegervergnuegen“ – wie es in der Carl-Maria-von-Weber-Oper „Der Freischuetz“ besungen wird – an Stelle dieser
Empfindungen treten Fragen nach Sinnhaftigkeit. Gutbekanntes wirkt auf
einmal befremdlich. Der Kuenstler erreicht so eine unmittelbare emotionale
Wirkung. Die Arbeiten faszinieren nicht nur, sie verunsichern auch wie sie
gleichermaßen sensibilisieren.
Christine Dorothea Hoelzig
Hochsitz In: Bertram Kober – Fotografie. Faltblatt zur Ausstellung in der
Studiogalerie Denkmalschmiede Hoefgen. 2007
Mit „Hochsitz“ erweist sich der Photograph einmal mehr als Autorenphotograph
von Rang. (Den Begriff praegte Klaus Honnef fuer jene Photographen, die sich
ihre Themen suchen und auf eine diesen je angemessene Weise bearbeiten.)
Darueber hinaus ist „Hochsitz“ eine Serie, die einem strengen Konzept folgt,
ein Verfahren, welches Kober vor laengerer Zeit bei den Portraits rechter
Jugendlicher angewandt hatte. Die Verbindung von Serie und Konzept
ermoeglicht, die Beliebigkeit des Einzelbildes zu ueberwinden – die Bilder
kommentieren und steigern einander. Sie fordert Vergleiche heraus, laesst
Gemeinsamkeiten wie Unterschiede der aufgenommenen Gegenstaende deutlich
werden. Kober verfolgt hier das Prinzip des photographischen Inventars, das
in der Geschichte des Mediums immer wieder in verschiedenen Zusammenhaengen
erscheint, zunaechst in wissenschaftlichen, dann in sozialdokumentarischen
und schließlich in dezidiert kuenstlerischen seit den sechziger Jahren des
20. Jahrhunderts.
Eine Assoziation zu Kobers Hochsitzen, die sich sogleich einstellt, sind die
seriellen Architekturstudien von Hilla und Bernd Becher, besonders deren
Sammlungen alter Foerdertuerme. Doch anders als die Bechers zeigt Kober keine
Abwicklungen, also acht Ansichten, rund um das jeweilige Bauwerk in regelmaeßigen Abstaenden aufgenommen, noch praesentiert er seine Gegenstaende
ansichtig, das heißt, parallel zu deren „Schauseite“ photographiert. Und es
geht ihm nicht um eine Typologie einer bestimmten Gruppe von Bauten wie
Bechers, sondern er hat jeden Hochsitz individuell aufgenommen, fuer jeden
die ihm passend erscheinende Ansicht, insofern also Dingportraits. … Immer
also – womit Kober sich photographierend auch beschaeftigt – geht es um
soziale, politische, oekonomische, kulturelle, religioese Verhaeltnisse und
darum, wie sie eine Umwelt formen, zu Gebautem, Gemachtem gerinnen, wie sie
schließlich mit und aus den Dingen sprechen. … Mutatis mutandis trifft das
auch auf die Hochsitze zu, die selbst anonyme Architekturen sind,
pragmatische Montagen aus Metall, Holz, Fundstuecken und industriellen
Halbzeugen. Gefunden und ausgewaehlt auf Reisen und gefuegt zum Buch, zeugen
zeichenhaft photographierte Gegenstaende von einem besonderen
„Natur“-Verhaeltnis auf so reduzierte wie zugespitzte Weise. Noch nie vorher
hat Kober so monoman, so systematisch und mit so verhaltenen photographischen Mitteln eines seiner Themen „abgearbeitet“. … Kobers
genereller Ansatz laesst sich fassen im Sinne von Affirmation als Kritik.
Kober konstatiert, nimmt zur Kenntnis und bringt zur Ansicht, was ihm
auffaellt. Erst durch sein serielles Vor- und Herangehen erreicht er
gleichsam die kritische Masse des jeweils gerade von ihm untersuchten
Phaenomens. Dann und so zeigt er das Typische und Charakteristische daran,
erweist es als bezeichnend und zeichenhaft fuer gesellschaftliche Verhaeltnisse. „Gar lustig ist die Jaegerei“ heißt es im Lied. In Kobers
Bildern liest es sich anders.
T.O. Immisch
Auszug aus: Auf auf zum froehlichen Jagen? In: Bertram Kober HOCHSITZ. Ploettner Verlag Leipzig. 2008. Seite 56