Kulpoche. 1997
Die Photographien von Bertram Kober zeigen Spuren auf, zufaellige Rueckstaende gelebten Lebens, grandiose, von unbewusst ordnenden Haenden geschaffene Banalitaeten. Es ist, als waere der Photograph den Empfindungen gefolgt, die einst Leonardo da Vinci angehenden Schuelern gab. Um das freie Spiel der Phantasie zu ueben, so sein Ratschlag, solle das aesthetische Interesse scheinbar nebensaechlichen Erscheinungen gelten. In den verworrenen Strukturen verwitterter Mauern seien diverse Landschaften, fremdartige Figuren, großartige Schluchten zu erblicken, auch sei das menschliche Auge imstande, ungeheuerliche, neuerfundene Dinge zu entdecken.
Bertram Kober hat sich mit Ablagerungen menschlicher Geschichte befasst, um die in ihnen eingeschlossenen Phantasien und realen Ungeheuerlichkeiten aufzuzeigen. Die Thematik dieser Bilder ist der unentrinnbare Widerspruch, der zwischen der Sehnsucht nach Entgrenzung, nach Befreiung aus Begrenztheit menschlicher Lebensverhaeltnisse und den jaemmerlichen Klischees besteht, in denen sich diese Sehnsucht entaeußert.
Sorgsam betrachtet, entfalten sich in den Bildern Microdramen, deren tragische und zugleich klaegliche Dimension außer Frage steht. Aber: Die Menschen haben die Buehne scheinbar endgueltig verlassen, die von ihnen benutzten Dinge blieben als Zeugen endlich zurueck. Alleingeblieben, wird ihr Surrogatcharakter an ihrer Hinfaelligkeit doppelt deutlich: Tapeten woelben sich, Risse in der Wand platzen wie Wunden auf, Kabel baumeln zufaellig herum, antiquierte Empfangstische und Sitzecken verstroemen eine Atmosphaere eisiger Isolation.
Die Verschoenerungsbemuehungen, so will auch das Wortungetuem KULPOCHE sagen, sind gescheitert. Das Ungelebte ließ sich nicht durch Sehnsuchtsmotive ersetzen, leere Behaeltnisse bleiben zurueck. Die Gelehrtenbueste in der Bibliothek blickt ueber die Zettelkaesten ins Unbestimmte: Der Geist und die Materie kommen nicht ueberein. Kultur und Epoche sind deutsche Donnerworte, die der Photograph im Bewusstsein ihres Auseinanderklaffens zusammenfuegte. …
Die Thematik von KULPOCHE ist zeituebergreifend angelegt. Die photographische Auffassung bleibt konstant und setzt auf den Vergleich.
Das Blau der Ferne und der Konsumkitsch, sie sind Synonyme dieser Epoche. Dazwischen vergeht Leben.
Andreas Krase
Auszug aus: KULPOCHE oder DAS BLAU DER FERNE In: Kulpoche Altaere der Privatheit.
Bertram Kober Fotografie. Verlag Faber & Faber. 1997. Seiten 7 – 9